Buchstaben für alle
Buchstaben für ALLE: Dieses Motto schwingt von Anbeginn in der Arbeit der Schwerter Ruhrstadtkinder mit und findet nun den Weg in ein niederschwelliges Projekt.
Mit einer Kinderserie „Henri & Marie“ beteiligen sich die Ruhrstadtkinder am Magazin der heimischen Stadtwerke.
Literatur und Schreiben sollen kein Selbstzweck sein. Wer ist der Empfänger? Wie erreiche ich jemanden, welche Themen schneide ich an?
In diesem Modell lernen wir selbst, in der Praxis das Gelernte umzusetzen, und suchen den digitalen und analogen Kontakt.
So stand am Anfang der Aufbau unserer Musterfamilie mit Ecken und Kanten. Beheimatet ist die Geschichte dort, wo sich die Kinder auskennen – in ihrem Lebensraum Schwerte an der Ruhr. Hier kennen sie Wege und Ecken, wissen um die Vor- und Nachteile.
Dass sich Bilder und Texte ergänzen, ist dabei kein Zufall. Wir leben im Hier und Jetzt.
Henri & Marie – ganz normale Kinder in einer ganz normalen Welt
Los geht´s – MACH MIT
Episode 1
Der Einzug oder Regeln müssen sein
Es ist ein regnerischer Septembertag, als der Umzug für Mark und Henry ansteht. Mark sitzt am Steuer des geliehenen LKWs und sein Sohn Henry neben ihm. Als sie am Haus von Marks neuer Freundin Miriam ankommen, zieht sich der Himmel bereits zu. Mark und Henry steigen aus und öffnen die Tür des Umzugsautos. Henry blickt kurz auf das alte Haus, das einmal schön gewesen sein muss, nun aber einen Eimer Farbe und etwas Aufmerksamkeit vertragen könnte. Sie sind da. Er nimmt sein Skateboard und den vollgestopften Karton mit Schonern und Helmen und geht ins Haus. „Wohin?“, brummelt er kurz und knapp in Richtung Marie, der Tochter von Miriam und seiner neuen „Schwester“, die sie bereits an der Tür erwartet. „Hier hoch“, sagt Marie und wirft ihren Kopf in Richtung Treppe. Er geht hoch und wirft seine Sachen einfach in das große Dachbodenzimmer, das er sich ab nun mit Marie teilen wird. Mit den anderen Kartons läuft es nicht anders. Rein, hingeknallt und gut.
Als Marie die Treppe hochkommt und einen Blick ins Zimmer wirft, schreit sie los: „Was fällt dir ein, unser Zimmer so zuzumüllen? Bist du wahnsinnig? Räum das auf, aber ZACKIBUMBACKI.“
Zackibumbacki ist Maries Lieblingswort und schießt ständig aus ihrem Mund. Henry antwortet mit seinem Lieblingssatz „Ich war das nicht, das war schon so“ und zuckt mit den Schultern. „Damit du es weißt“ schiebt er hinterher, „das hier sind meine Familienregeln.“ Er pappt einen dicken Zettel an die Zimmertür, darauf steht:
Henrys Familienregeln:
Ich bin der Chef. Keiner weckt mich vor 10. Ich war das nicht, das war schon so. Henry ist ein freier Mensch.
Marie zögert nicht lange und klebt ihren vorbereiteten Zettel sicher neben Henrys: „Das ist ja wohl ein Witz. Los, lies das!“
Maries Regeln – für immer und ewig:
Hier herrscht Ordnung. Pünktlichkeit ist keineswegs altmodisch. Doofheit bestraft sich immer selbst. Unordnung wird beseitigt – und zwar zackibumbacki.
Von unten rufen Miriam und Mark die beiden Kinder: „Esssseeeen.“ Marie und Henry rennen die Treppe hinunter und stürmen an den großen Tisch. Miriam sagt: „So, das ist heute ein besonderer Tag, wir sind nun alle zusammen. Und da haben wir uns überlegt: Wir reden gleich mal über Familienregeln.“
Die Kinder schauen sich an, reißen die Augen auf und lachen los. Aus einem Mund rufen sie: „Die gibt es schon!“
Episode 2
Kellergeschichte
Im letzten Magazin stellten sich Marie und Henry als frisch zusammengewürfelte Geschwister in einer Patchwork-Familie vor, die in Schwerte in ihren Alltag gestartet sind. Inzwischen sind die Familienregeln aufgestellt und etwas Routine ist eingezogen. Aber da ist noch das Geheimnis rund um Oma. Es ist Sonntag Morgen, Frühstückszeit und die Milch ist „alle“.
„Wer geht?“, fragt Mama und schaut in die Runde. Oma und Opa verstecken sich hinter den Tablets und Papa ist noch im Bad am Rumoren. „Okay.“ Henry und Marie springen gleichzeitig auf und machen sich auf den Weg zur alten Treppe in den Keller. Marie boxt Henry in die Seite und sagt: „Alleine traust du dich ja sowieso nicht.“ Henry ist genervt: „Ohne mich bist du sowieso hilflos.“ Die beiden hangeln sich die Treppe hinunter und tatsächlich sind beide froh nicht alleine in den Vorratskeller stapfen zu müssen. Der befindet sich im hinteren Teil des Kellers und ist mit einer Holztür verschlossen. Marie war schon oft hier unten, denn mit Opa Günther ist sie gern im Bastelkeller, der sich am Ende des Ganges befindet.
Für Henry ist das alles noch neu und er versucht keine Miene zu verziehen. Spinnweben, bröselige Wände und alte Gartengeräte sind zu sehen. In der Ecke fällt sein Blick auf eine Kiste. „Was ist das? Hortet Günther Schätze?“ Marie ist die Kiste noch nie aufgefallen und gemeinsam ziehen sie sie vor. Das alte Schloss ist nicht verschlossen und sie wuchten den Deckel hoch. Alte Bilder von einer jungen Frau im Badeanzug, ein paar Medaillen und etwas altes Papier mit verwaschener Schrift werden sichtbar. Sie hocken sich auf den Boden und versuchen zu lesen.
„Das ist doch Oma!“ Ein alter Schwimmanzug kommt zum Vorschein. Die junge Frau auf dem Foto, die auf einem Sieger-Treppchen steht, scheint tatsächlich ihre Oma zu sein. Die Medaillen und Urkunden zeigen es genau. „Oma hat doch immer gesagt, dass sie gar nicht schwimmen kann.“ „Sieht ganz nach einem Fall für uns aus“, sagt Henry und grinst über das ganze Gesicht. „Wir kommen später wieder“, verabreden sich die beiden und schnappen sich vor dem Weg nach oben noch rasch den letzten Liter Milch aus dem Regal.
Am Tisch können sie sich kaum konzentrieren und werfen sich immer wieder Blicke zu: Warum sagt Oma, dass sie nicht schwimmen kann, wenn sie doch Stadtmeisterin war? Da stimmt doch was nicht? Gleich wollten sie mit Opa ins Stadtbad gehen, vielleicht ergibt sich da eine erste Gelegenheit, das Geheimnis zu lüften.
Fortsetzung folgt!